DIE INTERNATIONALE EXPERTENGRUPPE
einberufen durch das
Komitee für eine europäische Lösung in Zypern
Eine prinzipientreue Grundlage für eine gerechte und dauerhafte Regelung des Zypernproblems im Einklang mit dem Völkerrecht und der europäischen Rechtsordnung
Präambel
1. Die vorliegende Studie, verfasst durch eine internationale Expertengruppe, zielt darauf ab, eine gerechte Zypernregelung zu suchen, die eine friedliche und prosperierende Zukunft aller Inselbewohner zu gewährleisten vermag. Um dies zu erreichen, müssen die Grundsätze des Völkerrechts und der europäischen Rechtsordnung, die bei der Schlichtung internationaler Uneinigkeiten, einschließlich bei Streitfragen innerhalb der Mitglieder der Europäischen Union angewendet werden, auch hier das Fundament bilden. Diese Grundsätze bilden den Kern des Völkerrechts und der europäischen Rechtsordnung. Sie zu umgehen gefährdet nicht nur den Erfolg jedes Schlichtungsplanes, indem Widersprüche zu Völkerrecht einfach hingenommen werden und damit seine Akzeptanz untergraben wird, sondern setzt auch ein für die Zukunft destabilisierendes Element frei. Der Präzedenzfall einer politischen Regelung, die geltendem internationalen und europäischen Recht widerspricht, kann negative Wirkungen auf andere Konfliktsituationen ausüben und ernsthafte Konsequenzen für die Stabilität der internationalen Sicherheit und Ordnung mit sich bringen.
2. Die Grundsätze des Völkerrechts und der europäischen Rechtsordnung bieten eine einzigartige Leitlinie und Methode an, ein Verfahren in Gang zu bringen und erfolgreich durchzusetzen, welches das Zypernproblem mittels der Ausarbeitung einer neuen Verfassung Zyperns durch einen Verfassungskonvent, im Einklang mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, zu lösen vermag. Dies ist der eigentliche Kern einer europäischen Lösung für Zypern, auf der Grundlage des Völkerrechts und der EU-Rechtsordnung.
3. Eine Lösung des Zypernproblems bedingt, dass die Grundsätze, auf welchen das Völkerrecht und die Europäische Union beruhen, anerkannt und auch durchgesetzt werden. Es sind dies die friedliche Regelung von Konflikten, die Souveränität, die Unabhängigkeit und die Gleichheit der Staaten, das Aggressionsverbot und die Achtung der Menschenrechte, der Freiheit, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sowohl die heutige Situation in Zypern, wie auch und vor allem der Annan Plan widersprechen diesen Grundsätzen diametral. Es muss eine Lösung angestrebt werden, die der Notwendigkeit einer Versöhnung und einer Zusammenarbeit aller Gemeinschaften und aller relevanten Parteien volle Beachtung zollt.
4. Die Europäische Union wird aufgerufen, diese geschichtlich einzigartige Gelegenheit zu ergreifen und ihrer spezifischen Verantwortung gerecht zu werden, indem sie dazu beiträgt, einen autonomen Prozess der Verfassungsbildung in Bewegung zu setzen, der es der Republik Zypern als EU Mitgliedsstaat ermöglicht, die uneingeschränkte Souveränität und Unabhängigkeit zurück zu gewinnen und eine neue Verfassungsordnung zu schaffen, welche die oben erwähnten Grundsätze respektiert und auf der Achtung der Verschiedenheit beruht.
Grundlegende Tatsachen
5. Die Republik Zypern erlangte 1960 aufgrund einer Reihe von internationalen Vereinbarungen die Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu anderen dekolonisierten Gebieten war Zypern aber an die Garantieverträge gebunden, die bestimmte Vorrechte des Vereinigten Königreiches, der Türkei und Griechenlands beinhalteten. 1974 besetzte die Türkei, mit Hinweis auf den Putsch der griechischen Militärs gegen die legitime zypriotische Regierung von Erzbischof Makarios, den Nordteil der Insel. Diese Aktion eskalierte jedoch und zog eine langfristige Okkupation nach sich, die nun seit mehr als 30 Jahren andauert und zu einer Unzahl von Menschenrechtsverletzungen geführt hat, die von den Organen der Europäischen Menschenrechtskonvention mehrfach verurteilt wurden[1]. Seit 1974 ist Zypern de facto aufgeteilt in die von der internationalen Gemeinschaft allein anerkannte Republik von Zypern, und in die «Türkische Republik von Nordzypern»[2], ein Gebilde, das durch die UN-Sicherheitsratsbeschlüsse 541 (1983) und 550 (1984) als illegitim bezeichnet wurde und das nur von der Türkei anerkannt und unterstützt wird. Während ungefähr die Hälfte der türkisch- zypriotischen Gemeinschaft seit den Ereignissen von 1974 ausgewandert ist, hauptsächlich nach England, sind bis heute mehr als 120’000 türkische Siedler nach Nordzypern eingewandert und haben so die gebürtigen türkischen Zyprioten zu einer Minderheit in ihrem eigenen Lande werden lassen. Die Bevölkerung von Zypern beträgt zur Zeit (Siedler nicht inbegriffen) 802’500 Menschen, von denen ca. 80% griechische Zyprioten, 11% türkische Zyprioten (1974 waren es 18%) und 9% Armenier, Maroniten, Latiner und andere ausländische Bewohner sind.
6. Der Annan Plan, wie er in seiner Schlussversion vom Generalsekretär der Vereinten Nationen am 31. März 2004 vorgestellt wurde, sah eine «Vereinigte Republik Zypern» als einen föderalen Staat vor, der die bestehende Republik Zypern ersetzen und die besetzten Gebiete im Norden der Insel integrieren sollte. Am 24. April 2004 wurden zwei separate Referenden abgehalten. Während 65% der türkischen Zyprioten (inklusive der Siedlerwähler) im besetzten Norden den Annan Plan annahmen, lehnten 76% der griechischen Zyprioten in der Republik Zypern den Plan ab. Am 1. Mai 2004 wurde die Republik Zypern als Ganzes zum Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Ein zusätzliches Protokoll zum Beitrittsvertrag sieht die temporäre Aufhebung des „acquis communautaire“ in den besetzten Gebieten vor. Verhandlungen für den EU-Beitritt der Türkei stehen unmittelbar bevor.
Fundamentale Prinzipien
1. Die friedliche Regelung von Konflikte
a) Allgemeine Bedeutung
7. Artikel 2 (3) der Charta der Vereinten Nation legt fest, dass «alle Mitglieder ihre internationalen Konflikte mit friedlichen Mitteln lösen sollen, damit der internationale Frieden, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden». Dementsprechend kann eine Regelung, die den internationalen Frieden und Stabilität gefährdet, oder zu gefährden droht, und die den geltenden Standards von Gerechtigkeit widerspricht, mit den in der Charta festgelegten Verpflichtungen aller Staaten nicht übereinstimmen.[3]
b) Mängel des Annan-Plans
8. Die Umsetzung des Annan Plans hätte die Instabilität zur eigentlichen Grundlage einer Zypernregelung gemacht und unvermeidlich zu verstärkten Reibungen und Destabilisierungen geführt. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen, die ausländischen Bürgern eine tatsächliche Kontrolle über Schlüsselbereiche von Regierungstätigkeiten in Zypern zusprachen. Beispiele einer solchen Kontrolle durch Nicht-Zyprioten bei Meinungsverschiedenheit zwischen den Vertretern der griechischen und türkischern Gemeinschaften sind etwa die Versöhnungskommission, das mit weiten Gesetzgebungs- und Exekutivkompetenzen ausgestattete Oberste Gericht, die Zentralbank, die Umsiedlungsbehörde, das Gericht für Eigentumsfragen, sowie die Organe der Behörde für Eigentumsfragen. Die Erfahrungen der Ereignisse von 1960-63 haben gezeigt, dass die Stabilität der Regierungsordnung von entscheidender Bedeutung ist. Nicht-zypriotische Entscheidungsträger entbehren jeglicher demokratischen Legitimität.
9. Jede Regelung eines internationalen Konfliktes muss gerecht sein. Dieser Punkt wird weiter unten (Paragraph 15), im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Achtung der Menschenrechte erläutert.
2 Souveränität, Unabhängigkeit und Gleichheit von Staaten
a) Allgemeine Bedeutung
10. Völkerrecht und EU-Recht basieren auf der gegenseitigen Anerkennung von unabhängigen und souveränen Staaten. Daraus ergeben sich die Verpflichtungen zur Nichteinmischung in die internen Staatsangelegenheiten und zur Achtung der territorialen Integrität aller Staaten[4]. Das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet überdies, dass die freie Wahl des Volkes zur Bestimmung der Staatsregierung auf der internationalen Ebene respektiert wird.
b) Mängel des Annan-Plans
11. Der Annan Plan basiert auf der Auflösung der legitimen und anerkannten Republik Zyperns. Das Griechenland, der Türkei und Großbritannien vorbehaltene Recht zur Intervention in die internen Angelegenheiten Zyperns bleibt so, wie es in den Garantieverträgen vom 16. August 1960 festgelegt ist, erhalten und wird vom Annan Plan gar ausgeweitet auf die Wahrung der territorialen Integrität, der Sicherheit und der verfassungsrechtlichen Ordnung der föderativen „Vereinigten Republik Zypern“ und ihrer beiden Teilstaaten. Hierin liegt eine entscheidende Einschränkung der Souveränität und Unabhängigkeit Zyperns, sowie eine Herausforderung für die internationale und europäische Rechtsordnung. Dies ergibt sich aus der vorgeschlagenen Bildung eines Steuerungsausschusses (Monitoring Committee), zusammengesetzt aus Vertretern der Garantiemächte, der Teilstaaten und der UNO, der die Implementierung des Annan Plans zu überwachen und Empfehlungen auszusprechen hätte. Dazu wird im Annan Plan die permanente Entmilitarisierung und Abrüstung des neuen zyprischen Staates vorgesehen, wodurch das Recht zur Selbstverteidigung in Frage gestellt ist.
12. Zusätzlich gewährleistet der Annan Plan das Recht Großbritanniens zur vollständigen und uneingeschränkten Kontrolle der Gewässer zwischen den „Souveränen Militärstützpunkten“ und schliesst ausdrücklich jegliche Lösung allfälliger Konflikte, die diese Stützpunkte betreffen, durch internationale Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren aus. Jene Konflikte wären, nach dem Annan Plan, an einen von den Behörden der Souveränen Militärstützpunkte ernannten Schiedsrichter übertragen worden.
3. Das Verbot der Aggression und ihrer Konsequenzen
a) Allgemeine Bedeutung
13. Das Aggressionsverbot ist der eigentliche Kern der internationalen Rechtsordnung. Es ist ganz allgemein im Völkerrecht[5], im internationalen Strafrecht[6] und in spezifischen Situationen eingebettet. Die Konsequenzen einer Aggression zu verbieten heisst die durch illegale Aggression geschaffenen Vorteile zu ignorieren. Dieses Verbot ergibt sich zum Beispiel aus der zwingenden Völkerrechtsnorm der Nichtaneignung der durch Aggression besetzten Gebiete. Für Zypern hat der UNO-Sicherheitsrat durch die Resolutionen 541 (1983) und 550 (1984) die «Türkische Republik von Nordzypern» als illegal bezeichnet und die internationale Staatengemeinschaft aufgerufen, sie nicht zu anerkennen[7]. Des Weiteren widerspricht die systematische Implantation türkischer Siedler im Nordteil der Insel, in der Absicht die Demographie der Insel zu manipulieren, den Grundregeln des Völkerrechts, insbesondere dem Selbstbestimmungsrecht und den Menschenrechten. Artikel 49 der Genfer Konvention IV zum Schutz der Zivilpersonen von 1949 (von Zypern und der Türkei ratifiziert) verbietet es der Besatzungsmacht, Teile der eigenen Zivilbevölkerung in besetzten Territorien anzusiedeln. Auch wenn an der Illegalität der Situation der Siedler nicht gerüttelt werden darf, so muss die Frage nach der Zukunft dieser Siedler und ihrer Familien separat im Rahmen einer umfassenden, gerechten und angemessenen Regelung und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und dem EU-Recht beantwortet werden.
b) Mängel des Annanplans
14. Der Annan Plan sah eine Legitimierung der Akte der «Türkischen Republik Nordzypern» vor, und dehnte diese überdies weiter aus. Der Plan erklärte, dass sämtliche Vornahmen aller zypriotischen Behörden (ausser den Souveränen Militärstützpunkte) als gültig anerkannt würden, unabhängig von der Frage des Status’ der betreffenden Instanz, es sei denn ein einzelnes Statut stehe im Widerspruch zu Völkerrecht. Ebenso schlimm ist, dass die Vorgaben des Plans bezüglich der türkischen Siedler mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringen sind.[8] Zum einen ermöglichte der Plan den Siedlern eine Teilnahme am türkisch-zypriotischen Referendum, obwohl sie heute eine Mehrheit der Einwohner des Nordens bilden und ihnen dadurch, als Folge einer widerrechtlichen Aggression, eine entscheidende verfassungsgebende Gewalt zuerkannt wurde. Die UNO hat das Stimm- und Wahlrecht für Siedler in ähnlichen Situationen, zum Beispiel in Cisjordanien, im Gazastreifen, in der Westsahara oder in Osttimor nie anerkannt. Zweitens ist der Status der Siedler auch insofern legitimiert worden, als einer großen Anzahl davon erlaubt wurde, im Norden zu verbleiben. Zweifelsohne sollten, unabhängig von der Art der Konfliktregelung, die Siedler in einer Weise behandelt werden, die dem internationalen Menschenrechtstandard entspricht. Insofern unterscheidet sich die Position der Siedler von jener der türkischen Truppen im besetzten Nordteil Zyperns. Die Anwesenheit solcher Truppen in der gegenwärtigen Lage ist ein Rundschlag gegen die Grundprinzipien der Demokratie und der Menschenrechte und ein Symbol der Aggression; sie müssen zurückgezogen werden.
4. Achtung der Menschenrechte
a) Allgemeine Bedeutung
15. Der Schutz der Menschenrechte verlangt vom Staat, die den Individuen von internationalen Konventionen, von der europäischen Rechtsordnung und von nationalen Verfassungen gewährleisteten Grund- und Freiheitsrechte zu fördern und umfänglich zu beachten. Menschenrechte spielen eine entscheidende Rolle im internationalen und europäischen Recht. Die Europäische Konvention für Menschenrechte bindet Zypern und die Türkei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrmals festgestellt, die Türkei trage seit 1974 die unmittelbare Verantwortung für fortgesetzte Verletzungen der Grundrechte, indem sie den Nordteil von Zypern besetzt hält, vertriebene griechische Zyprioten von einer Rückkehr in ihre Häuser und Eigentum abhält, sich weigert, den Verbleib von unzähligen vermissten Personen aufzuklären und es unterlässt, die Religions- und Meinungsfreiheit zu schützen. Diese Entscheidungen, präzedenzlos in Gewicht und Bedeutung[9], sind noch immer nicht umgesetzt worden. Im Weiteren zählen die von der EMRK gewährleisteten Grundrechte und Grundfreiheiten, neben der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, zu den Grundsätzen auf denen die Europäische Union beruht[10]. Auf der Grundlage der EMRK und des „acquis communautaire“ hat sich die europäische Rechtsordnung zu einem der effizientesten und leistungsfähigsten Systeme zum Schutz der Menschen- und Minderheitsrechte weltweit entwickelt. Zudem sind sowohl Zypern wie die Türkei Vertragsstaaten des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, dessen Artikel 1 das Recht der Völker auf Selbstbestimmung proklamiert; beide Länder sind ebenfalls dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung beigetreten.
b) Mängel des Annan-Plans
16. Unter dem Annan Plan wären schwerwiegende Beschränkungen der politischen und bürgerlichen Rechte, der Freiheit des Wohnsitzes, Rassendiskriminierungen, Verletzungen des Eigentumsrechts und des Rechts auf Achtung des Heimes fortgesetzt und gar verstärkt worden, und dies für alle zypriotischen Bürger während mehrerer Jahrzehnte, in bestimmten Fällen sogar dauerhaft (z.B. das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und das Recht auf Rückkehr). Der Annan Plan hätte das Recht der vertriebenen Griechischzyprioten auf eine Rückkehr in ihre Häuser in Abrede gestellt und damit den Anspruch aller griechischzypriotischen Hausbesitzer auf Widererlangung ihres Besitzes verneint[11]. Weiter versuchte der Plan, den Eigentümern das Recht eine Beschwerde beim EGMR einzulegen zu enthalten, indem er die „Vereinigte Republik Zypern“ zum verantwortlichen Staat erklärt und damit die Türkei entlastet, und indem er vorsah, hängige Beschwerden seien ungültig zu erklären, da der Plan ausreichende interne Schutzverfahren zur Verfügung stelle. Parallel dazu sah Artikel 6 des Anhangs IX der Grundlagenvereinbarung des Annan Plans vor, dass die EU den Plan, so wie er durch die Parteien angenommen wurde, zu übernehmen hätte und dass er somit als Primärrecht zu gelten habe. Der Europäische Gerichtshof könnte also den Plan nicht einmal auf seine Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der EU-Rechtsordnung überprüfen.
5. Demokratie
a) Allgemeine Bedeutung
17. Demokratie bezieht sich auf die Erstellung und Erhaltung eines vom Volk bestimmten und ihm gegenüber verantwortlichen Repräsentativsystems. Die den Staat konstituierenden und seine Beziehungen zur Zivilgesellschaft festlegenden Grundregeln müssen von den Bürgern gewollt und akzeptiert sein. Demokratie erheischt weiter, dass der durch die Stimmbürger und/oder durch ihre legitimen Vertreter bestimmte Volkswille umfänglich beachtet und durchgesetzt wird. Demokratie basiert auf dem Mehrheitsprinzip, in voller Anerkennung der gegebenen Individual-, Minoritäten- und Gruppenrechte. Das Demokratieprinzip nimmt im Völkerrecht stets an Bedeutung zu und kann als der eigentliche Kern der europäischen Rechtsordnung bezeichnet werden. Artikel 3 der Statuten des Europarates erwähnt die pluralistische Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit als seine Grundprinzipien, während Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union festlegt, dass die Union auf den Grundsätzen der Freiheit[12], der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht[13].
b) Mängel des Annan Plans
18. Das Vorgehen des Annan Plans, einem unabhängigen Staat Vereinbarungen, Verfassungen und Gesetze aufzuzwängen, die weder auf einem demokratischen Gesetzgebungsverfahren, noch auf einem echten Dialog beruhen, lässt sich mit dem Demokratieprinzip nicht in Einklang bringen. Dasselbe gilt für das Abstellen auf arithmetische Gleichheit zwischen zwei demographisch ungleichen Gemeinschaften[14]. Ein verfassungsrechtlicher Rahmen, der auf allen Staatsebenen und in jeder der drei klassischen Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) die gegenseitige Zustimmung der Vertreter beider ethnischer Gemeinschaften erfordert, räumt sowohl der Mehrheit wie auch der Minderheit ein dauerhaftes Vetorecht ein. Die endgültige Entscheidung, im Falle einer Pattsituation, fremden Bürgern, in so wichtigen Organen wie zum Beispiel dem Obersten Gericht zu überlassen[15], steht in krassem Widerspruch zu den Grundprinzipien der Demokratie.
19. Am 24. April 2004 sprachen sich 76% der Wähler der Republik Zypern gegen den Annan-Plan aus. Dieser Entscheid muss als rechtgültige Ausübung der Demokratie und des Rechts auf Selbstbestimmung betrachtet und damit akzeptiert werden.
6. Rechtsstaatlichkeit
a) Allgemeine Bedeutung
20. Die rule of law im Völkerrecht setzt voraus, dass alle amtlichen Tätigkeiten in einer Weise vorgenommen werden, die sich mit rechtlichen Grundsätzen vereinbaren lässt. Sie bedeutet ferner, dass rechtliche Verfahren vorgesehen und beachtet werden müssen, die es ermöglichen, diese rechtlichen Grundsätze effektiv und auf faire Art und Weise durchzusetzen. Wie vorher angeführt (Paragraph 15), beruhen sowohl der Europarat wie auch und die Europäische Union, unter anderem, auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.
21. In einem illegal durch eine fremde Macht besetzten Gebiet kann es keine völkerrechtskonforme rule of law geben. Die Tatsache, dass es einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union verwehrt ist, seine Hoheitsrechte über Teile seines international anerkannten Staatsgebietes auszuüben, stellt die Realität der europäischen Rechtsstaatlichkeit grundsätzlich in Frage.
B) Mängel des Annan Plans
22. Der Annan Plan schlug vor, die Republik Zypern durch einen neuen Staat zu ersetzen, der nur mit großer Schwierigkeit in der Lage gewesen wäre, für eine stabile Regierung zu sorgen, da die Instabilität, wie oben bemerkt, in ihn tatsächlich eingebettet worden wäre. Dazu kommt, dass die Einschränkungen der Menschenrechte und der damit verbundenen Fähigkeit, sie gemäß der EMRK, dem EU-Recht und dem Völkerrecht frei auszuüben, sich mit Due process und Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbaren lassen.
Der Weg nach Vorne: Ein Verfassungskonvent für Zypern
23. Auf der Basis der Verfassung von 1960 bildet die Republik Zypern die einzige international anerkannte und legitime Regierung der Insel. Ihr Beitritt zur Europäischen Union hat sie unter deren Schutz gestellt, sodass jede Lösung des Zypernproblems von den vorhandenen Institutionen und dem geltenden Recht der Republik Zypern, wie sie vom Volk angenommen und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wurden, ausgehen muss. Auf dieser Grundlage müssen Wege und Mittel gefunden werden, die bestehenden Institutionen und das Rechtsystem entsprechend dem Willen des gesamtes Volkes und unter Einschluss aller Gemeinschaften anzupassen, um die Demokratie wiederherzustellen und die volle Souveränität über das international anerkannte Gebiet der Republik zurück zu gewinnen.
24. Ein demokratischer Prozess autonomer Verfassungsgebung soll es dem ganzen Volk von Zypern schrittweise ermöglichen, die bestehenden Pattsituation zu überwinden und Mittel zu finden, eine Wiedervereinigung und eine Versöhnung in die Wege zu leiten, die mit den oben erwähnten Grundsätzen zu vereinbaren ist. Die Institution des Verfassungskonvents als Instrument demokratischer Verfassungsgebung hat sich namentlich, aber bei weitem nicht nur im Entkolonialisierungsprozess bewährt. Die Ausarbeitung einer Verfassung muss in den demokratischen politischen Prozess integriert, bzw. darf nicht von ihm getrennt werden.
25. Die Verantwortung für die Ausarbeitung und die Annahme einer neuen Verfassung Zyperns soll einem Verfassungskonvent übertragen werden, der demokratisch gewählt oder ernannt wird und so dem Wählerwillen und den Erwartungen der Zivilgesellschaft aller Gemeinschaften der Insel vollen Ausdruck gibt. Die neue Verfassung Zyperns soll letztlich die geltende Verfassung der Republik Zypern von 1960 abändern oder ersetzen.
26. Den Mitglieder des Verfassungskonvents sollte die völlige Freiheit gewährt und die alleinige Verantwortung übertragen werden für die Wahl des bevorzugten Regierungssystems, ob präsidial, parlamentarisch oder gemischt; für die Erarbeitung territorialer Lösungen durch angemessene Dezentralisierung – sei es in Regionen, Bezirke, Gemeinden oder was auch immer – und für die Bestimmung von Verfahren, die den Minderheiten und den Menschenrechten den ihnen zustehenden Schutz zu gewähren vermögen, im Interesse der Bevölkerung aller Gemeinschaften von Zypern. Experten vom In- und Ausland können beigezogen werden, um den Konvent oder seine Mitglieder zu beraten und zu unterstützen. Die rechtliche Grenze der verfassungsrechtlichen Souveränität des Konvents liegt in der strengen Achtung der europäischen Verfassungsgrundsätze, des „acquis communautaire“ und der internationalen Menschen- und Minderheitsrechte, wie sie vom Völkerrecht, von der EMRK und weiteren Übereinkommen gewährleistet werden[16].
27. Die vom Konvent ausgearbeitete neue Verfassung Zyperns soll in separaten und in beiden Teilen der Insel gleichzeitig abgehaltenen Referenden dem Volk unterbreitet werden, wie dies am 24. April 2004 geschah[17]. Nur das Volk Zyperns vermag, die für einen Neuanfang erforderliche Legitimität hervorzubringen. Jede Lösung des Zypernproblems muss rechtsstaatlich legitimiert sein und auf jener Grundlage aufbauen, die von der Europäischen Union und von der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist: die Verfassung der Republik Zypern von 1960. Die Verfahren bezüglich der Wahl oder der Ernennung des Verfassungskonvents, dessen Zusammensetzung und Arbeitsweise und bezüglich der Abhaltung der Verfassungsreferenden sollen durch Teilrevision der Verfassung von 1960 geschaffen werden. Es wird weiter vorgeschlagen, den gesamten Prozess des Verfassungskonvents unter den Schutz der EU zu stellen.
Empfehlungen
28. Die internationale Expertengruppe strebt eine angemessene und gerechte Zypernregelung an, die es den Gemeinschaften erlaubt, sich zu versöhnen und die eine friedliche und prosperierende Zukunft möglich macht. Sie anvertraut folglich die oben erwähnten Grundsätze des Völkerrechts und der EU-Rechtsordnung allen relevanten internationalen Institutionen, einschließlich den Vereinten Nationen, dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, aber besonders der Europäischen Union, angesichts der historischen Gelegenheit, die ihr durch den Beitritt der Republik Zyperns und durch die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgegeben ist.
29. Die internationale Expertengruppe empfiehlt :
a) Die Anerkennung der erwähnten Grundsätze durch alle beteiligten Parteien, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit auf Zypern einsetzen.
b) Die Annahme einer Resolution im Europäischen Parlament (und anderen internationalen Institutionen), welche diese Grundsätze nochmals bestätigt.
c) Die Einrichtung eines Steuerungsmechanismus im Europäischen Parlament (und in anderen internationalen Institutionen), um die Übereinstimmung jeder vorgeschlagenen Zypernregelung mit den erwähnten Grundsätzen sicherzustellen.
d) Die Schaffung eines Verfassungskonvents für Zypern unter dem Schutz der Europäischen Union und auf der Grundlage der Verfassung Zyperns von 1960, um die unmittelbar betroffenen Parteien zusammenzubringen und eine mit den erwähnten Grundsätzen vereinbare Regelung sicherzustellen.
Zusammenfassung
30. Der Beitritt der Republik Zypern zur Europäischen Union hat die internen und externen Aspekte des Zypernproblems grundlegend verändert. Griechische und türkische Zyprioten sind jetzt Bürger der EU und genießen als solche die Rechte und Pflichten, die aus der europäischen Rechtsordnung abgeleitet werden. Die Republik Zypern ist ein EU-Mitgliedsstaat und folglich einer der «Meister der Verträge“
31. Wäre der Annan Plan vor dem EU-Beitritt angenommen und durchgesetzt worden, hätte dieser Beitritt auf wackligen Boden gestanden, da die Union einen neuen Mitgliedsstaat integriert hätte, der den Beitrittsvertrag nicht unterzeichnet hätte, während die Republik Zypern, welche den Vertrag unterzeichnet hat, aufgehört hätte zu existieren. Nun da der Beitritt Wirklichkeit geworden ist, wird die Auflösung der Republik Zyperns mittels eines neu aufgelegten Annan Plans allein schon durch das Bestehen der Europäischen Union verunmöglicht.
32. Die Europäische Union hat die historische Chance und trägt die spezielle Verantwortung, einen neuen Prozess demokratischer Verfassungsgebung in Zypern in die Wege zu leiten und zu fördern, sowie alle Gemeinschaften der Insel anzuhalten, sich an diesem Prozess zu beteiligen. In dieser Weise würde die Europäische Union die Anwendung ihrer eigenen Grundsätze und Werte, sowie die des Völkerrechts im allgemeinen, auf dem Gebiet eines ihrer Mitgliedsstaaten sicherstellen.
Anhang: Artikel 6 des Vertrags der europäischem Union
1. Die Union basiert auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie der Rechtsstaatlichkeit, Prinzipien, welche allen Mitgliedsstaaten bekannt sind.
2. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.
3. Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedsstaaten.
4. Die Union ist mit den Mitteln ausgestattet, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Richtlinien erforderlich sind.
Die Internationale Expertengruppe
1. Professor Auer Andreas, Switzerland
Professor of Constitutional Law, University of Geneva
2. Professor Bossuyt Mark, Belgium
Professor of International Law, University of Antwerp
3. Professor Burns Peter, Canada
Former Dean of the UBC Law Faculty,
Professor of Law, University of British Columbia, Vancouver
4. Professor Dr. Alfred De Zayas, United States of America
Geneva School of Diplomacy
Former Secretary, UN Human Rights Committee
5. Professor Helmons Silvio-Marcus, Belgium
Emeritus Professor of Universite Catholique de Louvain, Public International Law and Human Rights
6. Professor Dr. Dr.h.c. Oberndoerfer Dieter, Germany
Professor Emeritus, Political Science, University of Freiburg
7. Professor Malcolm N Shaw QC, United Kingdom
The Sir Robert Jennings Professor of International Law, University of Leicester
The members of the Greek Scientific Committee of the Association for a European Solution to the Cyprus problem which are co-authors of the Expert’s report.
1. Professor George Kassimatis, Professor, Constitutional Law, president of the Greek Scientific Committee
2. Panayiotis. Ifestos, Professor, International Politics
3. Stelios. Perrakis, Professor, International Law
4. Christodoulos. Yiallourides, ass. Professor, International Politics
5. Pericles Nearchou, Philologist, coordinator of the Scientific Committee
_____________________________________
[1] Siehe die Europäische Kommission für Menschenrechte, die sich auf türkische Verletzungen der Europäischen Konvention für Menschenrechte bezieht in den ersten zwei Gesuche Zypern gegen die Türkei, 10. Juli 1976 und das dritte Gesuch, 4. Oktober 1983 (veröffentlicht durch die Ministerkonferenz im Jahre 1992) und das Europäische Gericht für Menschenrechte bei der Urteilserfallung beim vierten Gesuch Zyperns gegen die Türkei, 10. Mai 2001. Siehe auch unten para. 15.
[2] Vom Europäischen Gericht für Menscherechte als eine «untergeordnete Lokalverwaltung» der Türkei bezeichnet, Loizidou gegen Türkei. Entscheidung vom 23. Februar 1995, para. 62
[3] Siehe auch die Deklaration auf die Prinzipien des Internationalen Rechts von 1970 in Bezug auf freundschaftliche Beziehungen, Entscheidungen 2625 (XXV) und die Manila Deklaration über die friedliche Regelung von International Konflikten, Entscheidung 37/590.
[4] Siehe Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen und die Deklaration auf die Prinzipien des International Rechts von 1970 in Bezug auf freundschaftliche Beziehungen.
[5] Siehe Art. 2 (4) der Charta der UN, Kap. VII der UN und Resolution 3314 (XXIX) über die Definition der Aggression.
[6] Siehe die Prinzipien von Nürnberg und die Statuten der Kriegsgerichte in Bezug auf das frühere Jugoslawien und Ruanda, sowie das Internationale Strafgericht.
[7] Siehe auch die Resolution 83 (13) des Ausschusses der Minister des Europarats und die Entscheidung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte im Falle Zyperns gegen die Türkei, 10. Mai 2001
[8] Siehe die Empfehlung des Internationalen Gerichtshofs über die rechtlichen Konsequenzen beim Bau der Mauer in den besetzten Gebieten in Palästina, 9. Juli 2004, para. 119ff
[9] Mehr von Bedeutung die Entscheidung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte, Zypern gegen die Türkei, 10. Mai 2001
[10] Siehe den Fall Rutili, 1975, ECR 1219 und Art. 6 des Vertrages der Europäischen Union, 1999 (ausführlicher im Anhang dieser Studie).
[11] Diese Situation würde vielen UN Resolutionen in Bezug auf das Recht der Rückkehr widersprechen, siehe insbesondere die Studie der Unterkommission zur Förderung und Schutz der Menschenrechte des zuständigen Forderers/Berichterstatters Al Kassawneh über die «Dimensionen des Bevölkerungstransfers auf die Menschenrechte», E/CN/Sub.2/1997/23.
[12] Siehe auch die Charta von Paris, 1990
[13] Siehe im Anhang dieser Studie. Siehe auch die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die Anerkennung neuer Staaten, 1991.
[14] Siehe oben para. 5.
[15] Siehe oben para. 8.
[16] Zum Beispiel die Rahmenkonvention für den Schutz von ethnischen Minderheiten, 1995, zu welcher auch Zypern teilgenommen hat.
[17] Aber ohne die Beteiligung der türkischen Siedlern, siehe oben, para. 14.